Auf Tauchgang in der Kläranlage
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- Опубликовано: 6 янв 2025
- MERSCHWITZ - Von weitem sichtbar ist das Klärwerk in Merschwitz. Der große Schwenkkran ragt weit über das Gelände hinter dem Elbdeich heraus. Wartungsarbeiten am Klärbecken sind angekündigt. Was recht technisch klingt, erfordert handfeste Muskelkraft: mit Hilfe von Tauchern geht es dem Klärschlamm am Beckenboden zuleibe. Die Sicht dort reicht genau bis zur Scheibe des Taucherhelms. Tastsinn ist gefragt.
Andreas Schlawe wird von seinen Kollegen nur "Atze" genannt. Der Tauchmeister stöhnt nicht, als ihm der 20 Kilogramm schwere Helm über den Kopf gestülpt wird. Erstaunliche 80 Kilogramm wiegt die komplette Ausrüstung, die er in den nächsten anderthalb Stunden tragen wird. Beklemmung empfindet er nicht bei dem Gedanken, in die Brühe zu tauchen. "Im Gegenteil, da habe ich wenigstens meine Ruhe", sagt der Norddeutsche schmunzelnd.
Als Nabelschnur für den Industrietaucher dient ein Schlauch- und Kabelknäuel: gelb die Hauptluft, blau die Reserve. In dem roten Kabel steckt die Telefonschnur, mit der der Taucher mit dem Signalmann reden kann. Der grüne Schlauch leitet Kühlwasser in den Anzug. "Den brauchen wir aber hier nicht. Der ist nur wichtig, wenn wir in Faultürmen tauchen. Da hat es manchmal 38 Grad", erzählt Anton Ulrich. Der Wiener betreibt eine Art Charterfirma für Industrietaucher - mit Freelancern wie Schlawe arbeitet er in Deutschland und Österreich. Kläranlagen wie in Merschwitz gehören für ihn zum Tagesgeschäft. "Danach geht es nach München, ein Noteinsatz", sagt er.
Mit einem großen Saugschlauch holt Schlawe den Klärschlamm vom Beckenboden. Zur Orientierung dient eine Leine am Boden, sie wird nach jedem Durchgang ein Stück versetzt, bis der Kreis um das 28 Meter breite Becken vollendet ist. Nebenbei kontrolliert er den Betonboden und die Rohrleitungen mit den Händen. Plötzlich kommt Bewegung in die Crew, Blasen schlagen aus dem Wasser. "Einstellen! Taucher raus!", ruft Ulrich dem Signalmann zu - die Belüftung des Beckens wurde aktiviert. Ein Fehler der Kläranlagen-Techniker, wie sich später herausstellt - das zweite Becken sollte eigentlich angeblasen werden. Das Blubbern ist indes nicht schlimm - die Angst gilt dem Rührwerk. Das aber ist nach Sicherheitsvorschrift vom Stromnetz getrennt. "Wir halten uns bei allen Aufträgen an die deutschen Sicherheitsvorschriften, das ist unsere Lebensversicherung. In 40 Jahren ist noch nie etwas Gefährliches passiert - und das Gefährlichste ist die An- und Abreise zum Auftrag", erzählt Ulrich.
Die Mittagspause wird am Donnerstag durchgearbeitet. Das angekündigte Gewitter gefällt den Arbeitern nicht, der Kran ist ein zu verlockendes Ziel für Blitze. Er wird genutzt, um die Belüftungskerzen im Becken auszutauschen. "Davon gibt es in jedem Becken etwa 250", erzählt Christian Kirmse, der Vorarbeiter im Klärwerk. Der junge Mann bekommt Unterstützung von den anderen Klärwerken der Umgebung, die die Midewa betreibt. Drei Mann tauschen die langen Ausleger, an denen die Belüftungskerzen angebracht sind: lange Rohre, die aus vielen winzigen Löchern Pressluft in das Belebungsbecken pressen. Damit werden die Mikroorganismen im Schmutzwasser beim Reinigungsprozess unterstützt.
800 Tonnen Schlamm entstehen
Die Kläranlage in Merschwitz hat Kapazität für die Abwässer von 15 000 Einwohnern. Über einen Rechen werden Schwebstoffe bis drei Millimeter festgehalten, bevor das Abwasser dann in einen Sandfang weitergeleitet wird. Von dort kommen die etwa 1 000 Kubikmeter Abwasser pro Tag in eines der Belebungsbecken, in denen das Wasser theoretisch eine Woche bleibt, bevor es dann im letzten Schritt in einem Schlamm-Wasser-Becken zur Trennung von gereinigtem Wasser und festen Schwebstoffen kommt.
Das Klarwasser wird in die Elbe geleitet, der Schlamm kompostiert und später zum Beispiel als natürlicher Dünger für Neuanpflanzungen genutzt. Die Anlage in Merschwitz "produziert" im Jahr etwa 800 Tonnen dieses Schlamms.
"Dass wir Taucher für die Reinigung nutzen, hat gleich mehrere Vorteile", erzählt Marko Hahn, der Projektleiter der Midewa. Man müsse die Becken nicht vollständig entleeren - was zu einer Umweltbelastung führen würde. Und außerdem könne kein Mensch vorhersagen, ob ein leeres Becken in unmittelbarer Nähe zur Elbe nicht durch den Grundwasserspiegel angehoben und dabei erheblich beschädigt würde. "Die Investition in die Taucher ist damit umweltschonender und im Endeffekt kostengünstiger als eine trockene Grundreinigung."