Als Klavierlehrer/Pianist muss ich sagen, daß "Die Klavierspielerin" ein Meisterwerk ist! Einem, der die Verhältnisse hinter den Kulissen nicht kennt, könnte dieser Roman schwerfallen. Aber, ich zeuge täglich von solchem Missbrauch der Kinder, die sich vielleicht etwas ganz Anderes wünschten, als mit dem Klavier einsam aufzuwachsen, um die Wünsche der (oft psychisch nicht ganz in Ordnung) Eltern zu erfüllen. Grüße aus Belgrad 😉
Vielen Dank ... ich bin nun sehr gespannt auf die Klavierspielerin ... da ich gestern den aktuellen Film über die Autorin geschaut habe 😉 ... und nun auf der Suche nach einem Roman war 🧐
Hi Max, ein wahnsinnig witziges Buch ist das doch auch, findest Du nicht? Ich meine, grausam auch und schonungslos etc., aber das ist alles so verspielt und zugespitzt ausgedrückt, dass man jeden Satz einrahmen möchte. Ein random Beispiel, S. 57, als sie in so einer Peepshowkabine sitzt: "Eine Schwarzhaarige macht eine schöpferische Pose, bei der man in sie hineinsieht." Königin der brutalen Kalauer.
Hallo Marcus, damit hast du absolut Recht, in einer früheren Version dieses Videos habe ich auf den bitterbösen (und oft kalauernden) Humor noch hingewiesen, hier leider vergessen. Allein der Name Klemmer bietet Jelinek genügend Möglichkeiten für kleine, ganz unprätentiös eingestreute Wortwitzchen. Schön! Aber für mich gar nicht im Vordergrund, eher wie bei Bernhard: der aller Betrachtung beigefügte Zynismus und Spott. Grüße
Das hat mir beim Lesen definitiv auch aufgefallen! Durch die ganzen skurrilen Vergleiche und Kommentare bringt uns die Erzählerin manchmal dazu, über Dinge zu lachen, bei denen man sich fragt "Dürfte ich hier überhaupt lachen?", und das fühlt sich wirklich nicht so gut an.
Tausend Dank für die Buchempfehlung im letzten Video. "Mephisto" hört sich äußerst interessant an. Bei meiner Recherche über "das Böse" bin ich auf zwei Bücher gestoßen : "Die Seele des Menschen und ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen" von Erich Fromm (welches ich jetzt besitze und reingelesen habe) und " Der Luzifer-Effekt" von Philip Zimbardo. Was für ein Zufall, dass ich jetzt "Der Untergeher" von Thomas Bernhard, dessen Schreibstil ich schätze, lese und mit "Naokos Lächeln" anfangen wollte.
Die von dir genannten Bücher kenne ich nicht, zum Thema des Bösen kennt die Literatur - besonders die deutsche - aber sicher viele Beispiele. Das ist wirklich ein großer Zufall! Viel Spaß bei Murakami, Grüße
Mit Jelinek und Herta Müller konnte ich bisher nicht warm werden. Von beiden Autorinnen habe ich Bücher abgebrochen. Ich werde aber in beiden Fällen noch einmal einen neuen Versuch starten. Ich bin gespannt, wie es Dir nun mit Murakami ergeht!
Hey Britta, Jelinek und Müller sind für mich erzählerische Halbschwestern, die beide mit starker Verfremdung arbeiten, Müller meiner Meinung nach etwas sanfter und lyrischer als Jelinek, Jelinek etwas schonungsloser, absoluter. Aber beim Lesen der Klavierspielerin hatte ich oft den Gedanken: Was würde Herta Müller zu diesem Schreiben sagen? (Allerdings kenne ich von beiden Autorinnen sträflich wenig und kann nur meinen ersten Eindruck wiedergeben.)
Wer wirklich eine pianistische Laufbahn anstrebt, muss er auf viele Dinge, die ein 'normales' Leben ausmachen, verzichten. Und zwar viele Jahre hindurch. Mit dem Klavier lebt man den ganzen Tag zusammen, weil das pianistische Repertoire viele einsame Stunden am Instrument verlangt... Schon eine Art gewollter Sklaverei. Und weil es leider (oder zum Glück!?) vielen nicht gelingt, nur durch Konzerte oder wegen anderer Gründe ihren Lebensunterhalt zu verdienen, müssen viele die Rolle eines Musiklehrers akzeptieren. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass viele (mich selber eingeschlossen) diese Rolle (manchmal) als eine Art Erniedrigung erleben. Und es kann passieren, dass man nie aus diesem Teufelskreis ausbricht. Die Verschwendung der eigenen kreativen Kräfte an andere... Und so generieren sich von neuem Frustrationen, weil so ein Künstler, wie Erika, nur am Klavier (ihre schon sehr eingeschränkte) Lebensfreude erleben durfte... Erika ist vielleicht ein zu heftiges Beispiel dafür, weil Jelinek durch diesen Charakter auch viele Verlogenheiten der Gesellschaft, der musikalischen Welt, die Rolle der Frau in österreichischer Gesellschaft, psychopathologische Sexualität etc. sehr erfolgreich aufdeckt. Ich hätte noch viel mehr dazu zu sagen, ich grüble noch immer diesem Roman nach... Grüße
Sehr gute Analyse. Ich muss dazu nur noch etwas sagen: ich glaube, dass die Anwesenheit einer quasi Nebenfigur dem Roman ganz sicher einen besänftigenden Ton geben würde und den Roman dem Durchschnittsleser zugänglicher machen würde. Aber der Roman würde auf solche Weise an der Originalität viel verlieren. Gute Literatur muss wehtun.
Hallo Veljko, du hast sicher Recht, dass Jelineks Entscheidung, auf das Versöhnliche zu verzichten, dem Roman gut tut: Er wirkt drastisch und klingt im Leser noch lange nach. Die Szenen in der Herrentoilette und besonders die grandios-widerliche Sexszene auf der Praterinsel sind kaum zu übertreffen, was Drastik und körperliche Aneignung betrifft. Vielleicht habe ich in manchen Lektüremomenten konventionell gedacht und auf eine rettende Gestalt gewartet, die den Figuren hilft und ihnen erklärt, was sie machen könnten. Das muss der Leser aber ganz alleine schaffen - tolle Literatur, die auf erwachsene Leser setzt! Grüße
@@KainUndAbelBooks Ich stimme dir zu. Ich glaube, was ein Kunstwerk eigentlich definiert, ist seine Fähigkeit starken Einfluss auf das Leben ganzer Generationen auszüben. Was mich persönlich betrifft, hat mir dieser Roman sehr geholfen, weil ich mich mit der ganzen Problematik jeden Tag von neuem an konfrontieren muss. Am Anfang war es schwer, aber ich habe den auch hervorragenden Film gesehen, und ich wusste das mich etwas ganz Besonderes erwartet. Grüße :)
Murakamis Werk unterteilt sich ja in realistische und surreale Roman, Kurzgeschichten und Sachbücher. Seine realistischen Romane orientieren sich viel an seiner Studentenzeit und an der Zeit, in der er noch Barbesitzer war. Da gibt es auch keine sprechenden Katzen, Männer in Brunnen, Einhörner oder Schafe, die die Weltherrschaft erringen wollen ;) Bei Naokos Lächeln auch nicht. Glück gehabt, hehe. Mir sind ja die surrealen Geschichten die liebsten. Allerdings eher, wenn sie sauberer konstruiert sind. Lange Zeit war Haruki Murakami ja mein Lieblingsautor. Seit ein paar Jahren leider nicht mehr. Da fand ich einige andere Autor*innen stärker. Ich glaube Jelinek wäre nichts für mich. Ich lege großen Wert auf fließende Texte. Vielleicht hat das auch mit meinem Job zu tun... Ich verstehe, dass anderes vielleicht auch eine Kunstform ist. Ich denke mir nur immer: Warum ablenken von einer starken Geschichte? Außer die Story schwächelt und man will bewusst davon ablenken. Aber schön, dass es dich mit dem unbequemen Stil gepackt hat. Also hat es ja einiges richtig gemacht 🙂
Da fällt mir noch ein, dass ich mal Sigrid Löffler getroffen habe in China. Damals hab ich gerade Gefährliche Geliebte von Murakami gelesen und darüber hatte sie sich ja im Literarischen Quartett mit Reich-Ranicki zerstritten. Und ich war so nervös, weil ich immer dachte: Lass sie bitte nicht fragen, was ich gerade lese... Aber sie fragte nur, wie das Wetter in den nächsten Tagen werden soll (Ich holte sie von ihrem Hotel für ein Event ab). Und ich wusste es nicht. Darüber war sie total entsetzt und fragte, wie man das nicht wissen könne, wenn man in Peking leben würde. Da wünschte ich mir, sie hätte mich nach dem Buch gefragt. Sie muss mich für die dümmste Praktikantin aller Zeiten gehalten haben und hat kein Wort mehr mit mir gesprochen 😅
@@Dragonviews Das ist ja eine großartige Anekdote! Ich kenne Löffler natürlich auch aus dem literarischen Quartett und insbesondere aus der "Skandalsendung". Vor ein paar Tagen war sie ja mal wieder zu sehen, im Literaturcafe (oder wie diese Sendung heißen mag). Übrigens weiß ich selbst auch nie, wie das Wetter der nächsten Tage sein wird, da bin ich also voll und ganz auf deiner Seite! ;-) Soll sie halt selbst einen Blick in die Zeitung werfen, falls ihr diese Infos so wichtig sind, jeder setzt doch andere Prioritäten. Das sollte einer alten Dame eigentlich klar sein. Naokos Lächeln finde ich bislang übrigens wirklich stark. Hauptsächlich wohl deshalb, weil es eine sanfte Saite in mir zum Klingen bringt und weil er so ruhig und offenbar liebevoll über seine Figuren wacht. Schön! Hätte ich gar nicht so erwartet. Aber wehe, jetzt kommt noch das Einhorn an und will die Weltherrschaft erlangen, dann würde ich aber ausrasten, ehrlich! ;-) Grüße
@@KainUndAbelBooks Haha, das glaub ich dir! Wenn ich aber mal ein Buch über Einhörner-Monarchen schreibe, wirst du es lesen und lieben. ;) Disclaimer: Wenn beinhaltet in diesem Fall eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit von 0,01%, dass ich jemals so ein Buch schreiben werde. ... Na gut 1,0 %. :3
Es hat mir wirkich gut gefallen, wie du über Jellineks Roman gesprochen hast. Vor allem der Vergleich mit Bernhard fand ich sehr interessant. Das habe ich vllt nicht genau verstanden, aber meintest du im Video, dass es im Roman eine vernünftigere Nebenfigur, aus der man eine kritische Perspektive auf die erzählte Welt, geben sollte? Falls du das gesagt hast, dann glaube ich, dass ich anderer Meinung bin. Das könnte vllt unpassend zur grotesken und hilflosen Atmosphäre des Buchs sein. Das Buch hat mir so einen starken Eindruck von Aussichtslosigkeit vermittelt, dass ich mir drin keine sänftere Nebenfigur vorstellen könnte. Hast du dir schon die Verfilmung von Michael Haneke angeschaut? Die fand ich sehr gut, wenn auch es schwierig ist, dem Buch - vor allem in seiner Sprache - gerecht zu werden.
Ich denke es soll zuerst einfach eine sehr ausführliche und interessante Charakterstudie der Erika sein, die durch ihre pathologischen Beziehungen verdeutlicht wird, nebenher werden dann noch sozialkritische und politische Themen angedeutet, aber ich denke es geht mehr um die Psyche und Gedankenwelt. Ich glaube Jelinek will auch Verständnis schaffen, die Sprache ist trocken, alle Gedanken werden bloßgelegt und nicht verhüllt, man ertappt sich bei den eigenen Gedanken und sieht dadurch dass Menschen, man selbst, nicht perfekt sind.
Das Verrückte ist, dass du, wenn du dich mit der österreichische Literatur auskennst, so stellst du fest, dass sie ihre Sprache aus Zitaten und Zitatbruchstücken der k.u.k. Kunstgrössen zusammenschnippselt. Wenn du diese Zitatverschnitte wiedererkennst, hebt dies den Lesegenuss deutlich.
Danke für die schöne Rezension! Im Moment scheinst du viele Bücher von meinem Sub zu lesen, das ist ganz wunderbar motivierend und pustet gewissermaßen den Staub von manchem, was schon viel zu lange hier liegt und vernachlässigt wurde. :)
Das freut mich! Ich schätze diese raren Momente auch sehr, wenn andere Leute über die Bücher reden, die ich ebenfalls gerade lese. Was steht denn nach Naokos Lächeln an? Schon Ideen?
@@KainUndAbelBooks Oh, Naokos Lächeln lese ich gar nicht. Ich habe 1Q84 mal als Hörbuch gehört und meine Murakami-Begeisterung hielt sich in Grenzen. Habe aber gehört, dass das nicht repräsentativ sei, also versuche ich irgendwann bestimmt noch mal eins! Ich habe sowohl Jelineks Klavierspielerin als auch 'Das Krieg hat kein weibliches Gesicht' schon länger ungelesen hier liegen und auf beide habe ich nach deinen Rezensionen wieder deutlich mehr Lust bekommen. :)
Halt stop! Jetzt muss ich als Phantastin doch mal schnell reingrätschen! Ich verstehe deine Kritik definitiv, finde sie aber etwas kurz gegriffen. Natürlich ist diese pure Einfügerei von Phantasmen, um des Mysteriums Willen fürchterlich (und deswegen wohl auch immer in der Trivialliteratur verblieben zumindest für mich und ja ich mag den Großteil des magischen Realismus nicht), allerdings gibt es durchaus ernstzunehmende Phantastik, die vielmehr theoretische Antworten auf unverständliche Sachverhalte gibt (Beispielhaft: Stanislaw Lem: DIe Unteruchung), oder eben nicht gibt (Ders. Dass.). Desgleichen kann Phantastik auch menschliches Verhalten ausdrücken, nur indem sie die Haltung, das psychische Element umkehrt, also auf den/die Leser*In zurückführt (M. R. James: Oh whistle and I come to you my lad; Stephen King: Friedhof der Kuscheltiere) oder sichtbar macht an wenig, bis gar nicht bekannten Sachverhalten (zwar zeitlich gebunden, aber: Fritz Leiber: Expreß nach Belsen; Desgleichen: Vernon Lee: Die Puppe; so ähnlich aber anders Arthur Machen: Ein Idealist), gelegentlich auch dem Unwahrscheinlichen eines Geschehnisses (Arthur Machen: Die Botschafter des Bösen. Auch die Gleichnishafte Dimension sollte nicht vernachlässigt werden, auch wenn sie seit der Sowjet Phantastik beinahe immer politisch aufgeladen ist, so gibt es doch viele Autor*Innen die immer noch interessante phantastische Gleichnisse schreiben (Arkadi und Boris Strugatzki: Picknick am Wegesrand; Tobias Reckermann: Rumors Fährte). Überhaupt Gleichnisse, auch parabolische Phantastik kann zutiefst menschliche Emotionen transportieren, gerade, da sie sie von der "Realität" ablöst und somit isoloiert erfahrbar macht (Thomas Ligotti: Vor allem die Sammlung: Das Alptraumnetzwerk, in welchem der Horror von Fabrikgebäuden ausgeht; oder Dino Buzzatis: Die Tartarenwüste) oder gleich auf die rein symbolische Ebene herunter bringt (Tobias Reckermann: Gotheim an der Ur; W. H. Pugmire: Der seltsame Fremde; Clark Ashton Smith: Die Seereise des König Euvoran oder Mutter der Kröten). Insofern, nachdem ich dermaßen lange rumgekrebst habe also zum Abschluss: Menschliches Verhalten wird auch und gerade an Phantastik sicht- und begreifbar, da es sich isoliert oder entfremdet darstellt und so eine von "rationalen" Kontexten losgelöste Beobachtung erlaubt und wieder einen Rückgriff auf alte Unerklärlichkeiten, die vielleicht nur nach einem sehr spezifischen Standard erklärbar sind, erlaubt (Andrzej Sapkowski: Narrenturm, Gottesstreiter, Lux perpetua, sowie die wundervolle Erzählung: Ein Vorfall in Mischief Creek). Dadurch zwingt sie uns gewollt den gewohnten blickwinkel und damit unsere Sicherheiten abzugeben und uns erneut wie ein Baby auf die Welt zuzubewegen, unsicher und allein. Gerade dadurch so mein Resümee aber kann unsere geistige Spannung und damit Fähigkeit mit der Welt zurecht zu kommen gestärkt werden. (Sorry für die Wall of Text, aber Corona und Homeoffice geben mir definitiv zu viel Freizeit) Und ich finde deine Review super, kommt sofort mal auf den "MINOL" Stapel dat Buch!
Ach, interessant, ich war von dem Buch damals so dermaßen verstört, dass ich nie wieder etwas von der Autorin lesen will... In "Naokos Lächeln" gibt es übrigens keine sprechenden Katzen, wie das Buch überhaupt absolut realistisch ist (weswegen es eins ist, das mir nicht gefiel; ich mag Murakamis surreale Bücher deutlich lieber), ich bin gespannt, was du darüber zu sagen haben wirst :)
Ja, kann ich gut nachvollziehen, mein Eindruck der Jelinek war ganz ähnlich. Mir gefällt das, finde ich super. Dann freue ich mich auf ein realistisches Buch (gerade deshalb hat es leaf by leaf wohl gefallen) von Murakami und schicke ab sofort sämtliche sprechende literarische Katzen bei dir vorbei! ;-)
Mein Accountname hat einen sehr weitgehenden Bezug zu meinem eigenen Namen (um das aufzuschlüsseln, müsste ich den verraten und das möchte ich nicht...). Aber von Dürrenmatt? Da klingelt bei mir nichts, wie kam dir denn der Gedanke zu einer Verbindung?
Als Klavierlehrer/Pianist muss ich sagen, daß "Die Klavierspielerin" ein Meisterwerk ist! Einem, der die Verhältnisse hinter den Kulissen nicht kennt, könnte dieser Roman schwerfallen. Aber, ich zeuge täglich von solchem Missbrauch der Kinder, die sich vielleicht etwas ganz Anderes wünschten, als mit dem Klavier einsam aufzuwachsen, um die Wünsche der (oft psychisch nicht ganz in Ordnung) Eltern zu erfüllen.
Grüße aus Belgrad 😉
Vielen Dank ... ich bin nun sehr gespannt auf die Klavierspielerin ... da ich gestern den aktuellen Film über die Autorin geschaut habe 😉 ... und nun auf der Suche nach einem Roman war 🧐
Großartige Rezension
Freut mich!
Hi Max, ein wahnsinnig witziges Buch ist das doch auch, findest Du nicht? Ich meine, grausam auch und schonungslos etc., aber das ist alles so verspielt und zugespitzt ausgedrückt, dass man jeden Satz einrahmen möchte. Ein random Beispiel, S. 57, als sie in so einer Peepshowkabine sitzt: "Eine Schwarzhaarige macht eine schöpferische Pose, bei der man in sie hineinsieht." Königin der brutalen Kalauer.
Hallo Marcus, damit hast du absolut Recht, in einer früheren Version dieses Videos habe ich auf den bitterbösen (und oft kalauernden) Humor noch hingewiesen, hier leider vergessen. Allein der Name Klemmer bietet Jelinek genügend Möglichkeiten für kleine, ganz unprätentiös eingestreute Wortwitzchen. Schön! Aber für mich gar nicht im Vordergrund, eher wie bei Bernhard: der aller Betrachtung beigefügte Zynismus und Spott. Grüße
Das hat mir beim Lesen definitiv auch aufgefallen! Durch die ganzen skurrilen Vergleiche und Kommentare bringt uns die Erzählerin manchmal dazu, über Dinge zu lachen, bei denen man sich fragt "Dürfte ich hier überhaupt lachen?", und das fühlt sich wirklich nicht so gut an.
Tausend Dank für die Buchempfehlung im letzten Video.
"Mephisto" hört sich äußerst interessant an. Bei meiner Recherche über "das Böse" bin ich auf zwei Bücher gestoßen : "Die Seele des Menschen und ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen" von Erich Fromm (welches ich jetzt besitze und reingelesen habe) und " Der Luzifer-Effekt" von Philip Zimbardo.
Was für ein Zufall, dass ich jetzt "Der Untergeher" von Thomas Bernhard, dessen Schreibstil ich schätze, lese und mit "Naokos Lächeln" anfangen wollte.
Die von dir genannten Bücher kenne ich nicht, zum Thema des Bösen kennt die Literatur - besonders die deutsche - aber sicher viele Beispiele.
Das ist wirklich ein großer Zufall! Viel Spaß bei Murakami, Grüße
Mit Jelinek und Herta Müller konnte ich bisher nicht warm werden. Von beiden Autorinnen habe ich Bücher abgebrochen. Ich werde aber in beiden Fällen noch einmal einen neuen Versuch starten.
Ich bin gespannt, wie es Dir nun mit Murakami ergeht!
Hey Britta,
Jelinek und Müller sind für mich erzählerische Halbschwestern, die beide mit starker Verfremdung arbeiten, Müller meiner Meinung nach etwas sanfter und lyrischer als Jelinek, Jelinek etwas schonungsloser, absoluter. Aber beim Lesen der Klavierspielerin hatte ich oft den Gedanken: Was würde Herta Müller zu diesem Schreiben sagen?
(Allerdings kenne ich von beiden Autorinnen sträflich wenig und kann nur meinen ersten Eindruck wiedergeben.)
"Norwegian Wood" war mein erster Murakami und hat mir ziemlich gut gefallen bis auf einige Details...
Bitte keine Details verraten, nicht so wie ich immer... ;-) Das erste Kapitel hat schon mal eine dichte Stimmung aufgebaut, geht gut los.
Wer wirklich eine pianistische Laufbahn anstrebt, muss er auf viele Dinge, die ein 'normales' Leben ausmachen, verzichten. Und zwar viele Jahre hindurch. Mit dem Klavier lebt man den ganzen Tag zusammen, weil das pianistische Repertoire viele einsame Stunden am Instrument verlangt... Schon eine Art gewollter Sklaverei.
Und weil es leider (oder zum Glück!?) vielen nicht gelingt, nur durch Konzerte oder wegen anderer Gründe ihren Lebensunterhalt zu verdienen, müssen viele die Rolle eines Musiklehrers akzeptieren.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass viele (mich selber eingeschlossen) diese Rolle (manchmal) als eine Art Erniedrigung erleben. Und es kann passieren, dass man nie aus diesem Teufelskreis ausbricht. Die Verschwendung der eigenen kreativen Kräfte an andere... Und so generieren sich von neuem Frustrationen, weil so ein Künstler, wie Erika, nur am Klavier (ihre schon sehr eingeschränkte) Lebensfreude erleben durfte...
Erika ist vielleicht ein zu heftiges Beispiel dafür, weil Jelinek durch diesen Charakter auch viele Verlogenheiten der Gesellschaft, der musikalischen Welt, die Rolle der Frau in österreichischer Gesellschaft, psychopathologische Sexualität etc. sehr erfolgreich aufdeckt. Ich hätte noch viel mehr dazu zu sagen, ich grüble noch immer diesem Roman nach...
Grüße
Sehr gute Analyse. Ich muss dazu nur noch etwas sagen: ich glaube, dass die Anwesenheit einer quasi Nebenfigur dem Roman ganz sicher einen besänftigenden Ton geben würde und den Roman dem Durchschnittsleser zugänglicher machen würde. Aber der Roman würde auf solche Weise an der Originalität viel verlieren. Gute Literatur muss wehtun.
Hallo Veljko, du hast sicher Recht, dass Jelineks Entscheidung, auf das Versöhnliche zu verzichten, dem Roman gut tut: Er wirkt drastisch und klingt im Leser noch lange nach. Die Szenen in der Herrentoilette und besonders die grandios-widerliche Sexszene auf der Praterinsel sind kaum zu übertreffen, was Drastik und körperliche Aneignung betrifft.
Vielleicht habe ich in manchen Lektüremomenten konventionell gedacht und auf eine rettende Gestalt gewartet, die den Figuren hilft und ihnen erklärt, was sie machen könnten. Das muss der Leser aber ganz alleine schaffen - tolle Literatur, die auf erwachsene Leser setzt!
Grüße
@@KainUndAbelBooks Ich stimme dir zu. Ich glaube, was ein Kunstwerk eigentlich definiert, ist seine Fähigkeit starken Einfluss auf das Leben ganzer Generationen auszüben. Was mich persönlich betrifft, hat mir dieser Roman sehr geholfen, weil ich mich mit der ganzen Problematik jeden Tag von neuem an konfrontieren muss. Am Anfang war es schwer, aber ich habe den auch hervorragenden Film gesehen, und ich wusste das mich etwas ganz Besonderes erwartet.
Grüße :)
Murakamis Werk unterteilt sich ja in realistische und surreale Roman, Kurzgeschichten und Sachbücher. Seine realistischen Romane orientieren sich viel an seiner Studentenzeit und an der Zeit, in der er noch Barbesitzer war. Da gibt es auch keine sprechenden Katzen, Männer in Brunnen, Einhörner oder Schafe, die die Weltherrschaft erringen wollen ;) Bei Naokos Lächeln auch nicht. Glück gehabt, hehe. Mir sind ja die surrealen Geschichten die liebsten. Allerdings eher, wenn sie sauberer konstruiert sind. Lange Zeit war Haruki Murakami ja mein Lieblingsautor. Seit ein paar Jahren leider nicht mehr. Da fand ich einige andere Autor*innen stärker.
Ich glaube Jelinek wäre nichts für mich. Ich lege großen Wert auf fließende Texte. Vielleicht hat das auch mit meinem Job zu tun... Ich verstehe, dass anderes vielleicht auch eine Kunstform ist. Ich denke mir nur immer: Warum ablenken von einer starken Geschichte? Außer die Story schwächelt und man will bewusst davon ablenken. Aber schön, dass es dich mit dem unbequemen Stil gepackt hat. Also hat es ja einiges richtig gemacht 🙂
Da fällt mir noch ein, dass ich mal Sigrid Löffler getroffen habe in China. Damals hab ich gerade Gefährliche Geliebte von Murakami gelesen und darüber hatte sie sich ja im Literarischen Quartett mit Reich-Ranicki zerstritten. Und ich war so nervös, weil ich immer dachte: Lass sie bitte nicht fragen, was ich gerade lese... Aber sie fragte nur, wie das Wetter in den nächsten Tagen werden soll (Ich holte sie von ihrem Hotel für ein Event ab). Und ich wusste es nicht. Darüber war sie total entsetzt und fragte, wie man das nicht wissen könne, wenn man in Peking leben würde. Da wünschte ich mir, sie hätte mich nach dem Buch gefragt. Sie muss mich für die dümmste Praktikantin aller Zeiten gehalten haben und hat kein Wort mehr mit mir gesprochen 😅
@@Dragonviews Das war eine wunderbare Anekdote. ^^'
@@Dragonviews Das ist ja eine großartige Anekdote! Ich kenne Löffler natürlich auch aus dem literarischen Quartett und insbesondere aus der "Skandalsendung". Vor ein paar Tagen war sie ja mal wieder zu sehen, im Literaturcafe (oder wie diese Sendung heißen mag). Übrigens weiß ich selbst auch nie, wie das Wetter der nächsten Tage sein wird, da bin ich also voll und ganz auf deiner Seite! ;-) Soll sie halt selbst einen Blick in die Zeitung werfen, falls ihr diese Infos so wichtig sind, jeder setzt doch andere Prioritäten. Das sollte einer alten Dame eigentlich klar sein.
Naokos Lächeln finde ich bislang übrigens wirklich stark. Hauptsächlich wohl deshalb, weil es eine sanfte Saite in mir zum Klingen bringt und weil er so ruhig und offenbar liebevoll über seine Figuren wacht. Schön! Hätte ich gar nicht so erwartet. Aber wehe, jetzt kommt noch das Einhorn an und will die Weltherrschaft erlangen, dann würde ich aber ausrasten, ehrlich! ;-) Grüße
@@KainUndAbelBooks Haha, das glaub ich dir! Wenn ich aber mal ein Buch über Einhörner-Monarchen schreibe, wirst du es lesen und lieben. ;)
Disclaimer: Wenn beinhaltet in diesem Fall eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit von 0,01%, dass ich jemals so ein Buch schreiben werde. ... Na gut 1,0 %. :3
@@Literaturlaerm Ich hab da ewig nicht dran gedacht. Das war 2001. Hatte ich schon fast verdrängt. Aber jetzt muss ich auch darüber schmunzeln... :3
Es hat mir wirkich gut gefallen, wie du über Jellineks Roman gesprochen hast. Vor allem der Vergleich mit Bernhard fand ich sehr interessant.
Das habe ich vllt nicht genau verstanden, aber meintest du im Video, dass es im Roman eine vernünftigere Nebenfigur, aus der man eine kritische Perspektive auf die erzählte Welt, geben sollte? Falls du das gesagt hast, dann glaube ich, dass ich anderer Meinung bin. Das könnte vllt unpassend zur grotesken und hilflosen Atmosphäre des Buchs sein. Das Buch hat mir so einen starken Eindruck von Aussichtslosigkeit vermittelt, dass ich mir drin keine sänftere Nebenfigur vorstellen könnte.
Hast du dir schon die Verfilmung von Michael Haneke angeschaut? Die fand ich sehr gut, wenn auch es schwierig ist, dem Buch - vor allem in seiner Sprache - gerecht zu werden.
Weiterführende Literatur...Bastian Reinert, Clemens Götze: Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard, Intertextualität, Korrelationen, Korrespondenzen
@@cori0906 Danke für den bibliographischen Hinweis :D
Ich denke es soll zuerst einfach eine sehr ausführliche und interessante Charakterstudie der Erika sein, die durch ihre pathologischen Beziehungen verdeutlicht wird, nebenher werden dann noch sozialkritische und politische Themen angedeutet, aber ich denke es geht mehr um die Psyche und Gedankenwelt. Ich glaube Jelinek will auch Verständnis schaffen, die Sprache ist trocken, alle Gedanken werden bloßgelegt und nicht verhüllt, man ertappt sich bei den eigenen Gedanken und sieht dadurch dass Menschen, man selbst, nicht perfekt sind.
Das Verrückte ist, dass du, wenn du dich mit der österreichische Literatur auskennst, so stellst du fest, dass sie ihre Sprache aus Zitaten und Zitatbruchstücken der k.u.k. Kunstgrössen zusammenschnippselt. Wenn du diese Zitatverschnitte wiedererkennst, hebt dies den Lesegenuss deutlich.
Danke für die schöne Rezension! Im Moment scheinst du viele Bücher von meinem Sub zu lesen, das ist ganz wunderbar motivierend und pustet gewissermaßen den Staub von manchem, was schon viel zu lange hier liegt und vernachlässigt wurde. :)
Das freut mich! Ich schätze diese raren Momente auch sehr, wenn andere Leute über die Bücher reden, die ich ebenfalls gerade lese. Was steht denn nach Naokos Lächeln an? Schon Ideen?
@@KainUndAbelBooks Oh, Naokos Lächeln lese ich gar nicht. Ich habe 1Q84 mal als Hörbuch gehört und meine Murakami-Begeisterung hielt sich in Grenzen. Habe aber gehört, dass das nicht repräsentativ sei, also versuche ich irgendwann bestimmt noch mal eins!
Ich habe sowohl Jelineks Klavierspielerin als auch 'Das Krieg hat kein weibliches Gesicht' schon länger ungelesen hier liegen und auf beide habe ich nach deinen Rezensionen wieder deutlich mehr Lust bekommen. :)
Halt stop!
Jetzt muss ich als Phantastin doch mal schnell reingrätschen! Ich verstehe deine Kritik definitiv, finde sie aber etwas kurz gegriffen. Natürlich ist diese pure Einfügerei von Phantasmen, um des Mysteriums Willen fürchterlich (und deswegen wohl auch immer in der Trivialliteratur verblieben zumindest für mich und ja ich mag den Großteil des magischen Realismus nicht), allerdings gibt es durchaus ernstzunehmende Phantastik, die vielmehr theoretische Antworten auf unverständliche Sachverhalte gibt (Beispielhaft: Stanislaw Lem: DIe Unteruchung), oder eben nicht gibt (Ders. Dass.). Desgleichen kann Phantastik auch menschliches Verhalten ausdrücken, nur indem sie die Haltung, das psychische Element umkehrt, also auf den/die Leser*In zurückführt (M. R. James: Oh whistle and I come to you my lad; Stephen King: Friedhof der Kuscheltiere) oder sichtbar macht an wenig, bis gar nicht bekannten Sachverhalten (zwar zeitlich gebunden, aber: Fritz Leiber: Expreß nach Belsen; Desgleichen: Vernon Lee: Die Puppe; so ähnlich aber anders Arthur Machen: Ein Idealist), gelegentlich auch dem Unwahrscheinlichen eines Geschehnisses (Arthur Machen: Die Botschafter des Bösen. Auch die Gleichnishafte Dimension sollte nicht vernachlässigt werden, auch wenn sie seit der Sowjet Phantastik beinahe immer politisch aufgeladen ist, so gibt es doch viele Autor*Innen die immer noch interessante phantastische Gleichnisse schreiben (Arkadi und Boris Strugatzki: Picknick am Wegesrand; Tobias Reckermann: Rumors Fährte). Überhaupt Gleichnisse, auch parabolische Phantastik kann zutiefst menschliche Emotionen transportieren, gerade, da sie sie von der "Realität" ablöst und somit isoloiert erfahrbar macht (Thomas Ligotti: Vor allem die Sammlung: Das Alptraumnetzwerk, in welchem der Horror von Fabrikgebäuden ausgeht; oder Dino Buzzatis: Die Tartarenwüste) oder gleich auf die rein symbolische Ebene herunter bringt (Tobias Reckermann: Gotheim an der Ur; W. H. Pugmire: Der seltsame Fremde; Clark Ashton Smith: Die Seereise des König Euvoran oder Mutter der Kröten). Insofern, nachdem ich dermaßen lange rumgekrebst habe also zum Abschluss: Menschliches Verhalten wird auch und gerade an Phantastik sicht- und begreifbar, da es sich isoliert oder entfremdet darstellt und so eine von "rationalen" Kontexten losgelöste Beobachtung erlaubt und wieder einen Rückgriff auf alte Unerklärlichkeiten, die vielleicht nur nach einem sehr spezifischen Standard erklärbar sind, erlaubt (Andrzej Sapkowski: Narrenturm, Gottesstreiter, Lux perpetua, sowie die wundervolle Erzählung: Ein Vorfall in Mischief Creek). Dadurch zwingt sie uns gewollt den gewohnten blickwinkel und damit unsere Sicherheiten abzugeben und uns erneut wie ein Baby auf die Welt zuzubewegen, unsicher und allein. Gerade dadurch so mein Resümee aber kann unsere geistige Spannung und damit Fähigkeit mit der Welt zurecht zu kommen gestärkt werden.
(Sorry für die Wall of Text, aber Corona und Homeoffice geben mir definitiv zu viel Freizeit)
Und ich finde deine Review super, kommt sofort mal auf den "MINOL" Stapel dat Buch!
Ach, interessant, ich war von dem Buch damals so dermaßen verstört, dass ich nie wieder etwas von der Autorin lesen will...
In "Naokos Lächeln" gibt es übrigens keine sprechenden Katzen, wie das Buch überhaupt absolut realistisch ist (weswegen es eins ist, das mir nicht gefiel; ich mag Murakamis surreale Bücher deutlich lieber), ich bin gespannt, was du darüber zu sagen haben wirst :)
Ja, kann ich gut nachvollziehen, mein Eindruck der Jelinek war ganz ähnlich. Mir gefällt das, finde ich super.
Dann freue ich mich auf ein realistisches Buch (gerade deshalb hat es leaf by leaf wohl gefallen) von Murakami und schicke ab sofort sämtliche sprechende literarische Katzen bei dir vorbei! ;-)
Woher stammt eigentlich dein Name, ist das von Dürrenmatt?
Mein Accountname hat einen sehr weitgehenden Bezug zu meinem eigenen Namen (um das aufzuschlüsseln, müsste ich den verraten und das möchte ich nicht...). Aber von Dürrenmatt? Da klingelt bei mir nichts, wie kam dir denn der Gedanke zu einer Verbindung?
Murakami ist immer eine gute Idee!
Aber leider finde ich dieses Werk am schlechtesten 😕