Eichendorff verstehen: Die zwei Gesellen (Frühlingsfahrt) - Gedichte-Karaoke 85

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  • Опубликовано: 16 окт 2024
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    Vortrag: 00:07
    Kommentar: 01:50
    Selber sprechen mit Teleprompter: 07:35
    Es zogen zwei rüstge Gesellen
    Zum erstenmal von Haus,
    Gesellen sind in einer ursprünglichen Bedeutung Handwerker, die nach der Ausbildung auf Wanderschaft gehen, um ihr Können zu vertiefen und einen Platz für sich als Meister zu finden. Es kann hier selbstvertändlich auch allgemein für den Aufbruch des jungen Menschen ins Leben stehen. Und „zwei Gesellen“ klingt bei solchem Aufbruch auch nach tiefer Freundschaft. Die beiden ziehen also
    So jubelnd recht in die hellen,
    Klingenden, singenden Wellen
    Des vollen Frühlings hinaus.
    Sie jubeln über ihre Freiheit, endlich das Leben in eigenen Händen zu halten. Der Frühling ist natürlich auch ein „Lebensfrühling“. Jahreszeit und Lebenszeit hat auch hier mal wieder seine Entsprechung. Die „klingenden, singenden Wellen“ des Frühlings mögen ein aus klanglicher und atmosphärischer Absicht überdrehtes Bild sein, deuten aber auf „Seefahrt“ hin, ein Bild das später wichtig wird.
    Die strebten nach hohen Dingen,
    Die wollten, trotz Lust und Schmerz,
    Was Rechts in der Welt vollbringen,
    Nach „hohen Dingen“ streben: Ihr Ehrgeiz richtet sich auf beruflichen Erfolg und Bedeutung in der Welt.Und sie streben nach einer Beschäftigung, die ihnen selbst viel bedeutet. Dabei sind sie durchaus darauf eingestellt, dass nicht immer alles rund läuft.
    Und wem sie vorübergingen,
    Dem lachten Sinn und Herz. -
    Diese Euphorie des Aufbruchs, diese Unternehmungslust überträgt sich auf die Menschen, die das hinter sich oder auch vor sich haben, die aber auf jeden Fall an ihren Ort gebunden sind.
    Der erste, der fand ein Liebchen,
    Die Schwieger kauft’ Hof und Haus;
    Den ersten lässt die Liebe im gemachten Nest landen.
    Der wiegte gar bald ein Bübchen,
    Das einfachste Bild für den gewöhnlichsten aller Lebenswege: Frau, Haus, Kind. Natürlich ein Sohn: Erst der männliche Nachkomme, so das Denken der Zeit, macht die Familie komplett. Er wiegt es selbst: Der ganze Vaterstolz. Und viel „Rechts“ musste er für das alles dank Schwiegervater auch nicht vollbringen.
    Und sah aus heimlichem Stübchen
    Behaglich ins Feld hinaus.
    „Heimlich“ heißt hier „heimelig“, gemütlich. Wenn an die heute vertraute Bedeutung zu denken wäre, dann vielleicht im Sinne von „besonders privat“. Hier blickt, im Gegensatz zu Eichendorffs „Sehnsucht“, jemand nicht sehnsuchtsvoll, sondern „behaglich“ aus dem Fenster. Das „Feld“ gehört ihm möglicherweise sogar selbst. Sollte da noch ein Rest Sehnsucht nach „Mehr“ sein, dann hat er mit sich selbst schon ausgemacht, warum er diese bei sich nicht mehr zulässt.
    Dem zweiten sangen und logen
    Die tausend Stimmen im Grund,
    Verlockend’ Sirenen, und zogen
    Ihn in der buhlenden Wogen
    Farbig klingenden Schlund.
    Die hellen klingenden Wellen sind wieder da. Der Klangmagier Eichendorff macht aus ihnen aber „buhlende Wogen“. In der ganzen Strophe kriegt man den Mund vor lauter „U“s und O“s kaum noch richtig auf. Was ist passiert? Der andere ließ sich auf Unternehmungen ein, die Ruhm und Reichtum versprachen, das schnelle Geld vielleicht. Man darf sich alles Mögliche darunter vorstellen. So stereotyp und dabei ohne Widerstände der Lebensweg des einen ist, so unwichtig ist bei dem anderen, was genau ihn ruiniert. Darum nur das allgemeine Bild von der Seefahrt als Aufbruch ins Leben und darum nur die allgemeine Rede von Sirenen, den mythischen Meerwesen, die den Schiffer mit ihrem Gesang in den Tod locken.
    Und wie er auftaucht’ vom Schlunde,
    Da war er müde und alt,
    Sein Schifflein das lag im Grunde,
    Er ist vollkommen ruiniert. „Alt“ ist er insoweit, dass sein Leben schon so weit fortgeschritten ist, dass er keine neue Chance mehr erhält, „müde“, weil ihm auch die Kraft für jeden Neuanfang fehlt. Und das untergegangene „Schifflein“ bedeutet das Ende aller seiner materiellen Möglichkeiten.
    So still war’s rings in die Runde,
    Und über die Wasser weht’s kalt.
    Es ist eine Einsamkeit in der Schande. Sein Scheitern ächtet ihn, niemand will mehr etwas mit ihm zu tun haben. Dazu tritt noch das Fehlen jeder Selbstachtung.
    Es singen und klingen die Wellen
    Des Frühlings wohl über mir;
    Der Frühling ist wieder da, diesmal aus der Perspektive des Erzählers, der sich als „Ich“ jetzt selbst einbringt.
    Und seh ich so kecke Gesellen,
    Immer wieder aufs Neue brechen Menschen ins Leben auf. Und wenn er Menschen beim Aufbruch wie demjenigen der „zwei Gesellen“ sieht:
    Die Tränen im Auge mir schwellen -
    Ach Gott, führ uns liebreich zu dir!
    Das unendlich Bewegende an diesem Gedicht ist diese Bitte um die Barmherzigkeit Gottes. Niemand wird hier verurteilt für seine bescheidenen Ansprüche an ein gelungenes Leben oder für sein Scheitern. Ein „uns“ schließt uns alle ein: wir sind alle nicht sicher vor den Sirenengesängen. Aber wie sehr wir auch scheitern oder auch nicht scheitern: Jeder Weg möge sein tröstendes Ziel in den barmherzigen Armen Gottes finden.

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