Die Seminare zu mittelhochdeutscher Literatur waren meine Lieblingsveranstaltungen im Studium! Natürlich haben wir das Nibelungenlied zur Gänze durchgekaut; dennoch ein spannender Vortrag von Wbr. Paul, den ich mir gern angehört habe.
"Hochdeutsch" bezieht sich nicht auf den sozialen Status, sondern auf die regionale Verbreitung. Andernfalls müsste das einfache Volk selbst in der Südschweiz oder in Südtirol Niederdeutsch gesprochen haben. Der Niebelungenstoff ist keine Weiterentwicklung nordischer Erzählungen (die aufgrund der damals noch vorhandenen Ähnlichkeit der germanischen Sprachen überhaupt erst von Süd nach Nord wandern konnte), sondern eine höfische Adaption antiker germanischer Erzählstoffe aus der Völkerwanderungszeit (und eventuell davor). Zu Zeiten der Niederschrift des Niebelungenstoffes in den verschiedenen Handschriften (gemeinhin bezieht sich die Wissenschaft auf die Handschrift C) war die höfische Literatur nicht in ihrer Genese, sondern in ihrer absoluten Blüte. Wir reden hier von einer Zeit, in welcher Hartmanns von Aues "Der arme Heinrich", Gottfrieds von Straßburgs "Tristan und Isolde" und eben bald der besagte Parzival erschienen sind. Und das Nibelungenlied, das wahrscheinlich ebenfalls am Beginn des 13. Jahrhunderts geschrieben wurde, bildet eben keine Scharnierfunktion zwischen höfischer- und Heldenliteratur. Ansonsten möge man mir die ganzen schönen germanisch-deutschen Heldenlieder abseits von Nibelungen- und Dietrichstoff zeigen. Es gab niemals ein gemeinsames germanisches Verständnis. Gotisch wird in der Altgermanistik gerne als Vergleichssprache zum Althochdeutschen genutzt, weil beide Sprachen eine sehr konservative Grammatik haben (Rudimente des 5. Falls im ältesten Althochdeutschen und Gotischen, Rudimente von Wurzelreduplikationen, etc.). Ergo konnten Stoffe hier leicht wandern. Das sieht man eben auch beim genannten Hildebrandslied, das nicht das älteste Sprachzeugnis, sondern das älteste Heldenliedfragment in deutscher Sprache ist. Es gibt Glossen, die deutlich älter sind. Die Edda hat auf keinen Fall das Nibelungenlied inspiriert. Diese Aussage ist absolut hanebüchen! Das Motiv des Drachenkampfes und sein Auftauchen in verschiedenen volkssprachlichen Erzählungen ist in seiner Provinienz absolut dunkel. Es gibt ja eben gerade bei der Diskussion (Mindermeinung) um Siegfried die These, dass hiermit vielleicht die metaphorischen drei Legionen des Varus gemeint sein können. Im anderen Video wird behauptet, dass die Nibelungen identisch mit den Burgundern seien. Das stimmt nicht! "Nibelungen" lässt sich etymologisch als "Kinder des Nebels/Dunkels" herleiten und bezieht sich auf ein germanisches Sagengeschlecht (siehe Edda --> Tötung von Otr durch Wodan und Loki, Verfluchung des Schatzes; hab jetzt die genaue Stelle nicht im Kopf). Wenn überhaupt, dann sind Alberich und Fafnir Nibelungen. Kriemhild ist nicht ihre Tochter (Nibelungenlied woke mit polyamouröser LGBTQIA+-Familie?), sondern Schwester. Die Mutter ist frou uote, also Edelfrau/Königin Ute. Burgunder waren keine Franken. Woher weiß der Herr eigentlich immer, dass dem Publikum der germanische Sagenschatz so vollumfänglich bekannt war? Woher weiß er, dass der Verfasser ein Geistlicher war? Wieso nicht der Kürenberger? Wieso nicht mehrere Autoren? "Lied" bezieht sich nicht zwingend auf Gesang, sondern auf Strophendichtung. Spontan fällt mir hier die neue Adaption dieses Stils durch Tolkien ein (Lay of Leithian - Heldenlied von Leithian), in welchem er das Heldenlied von Beren und Luthien erzählt. Tipp noch zur (vermutlichen) Aussprache: Umlaute hatten ihre Betonung im Mittelhochdeutschen noch auf dem zweiten Vokal, nicht dem ersten (wie im aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangen Jiddisch), also "gesäit" statt "gesait"; "arebäit" statt "arbait". Danke dennoch für die Thematisierung dieses wichtigen Stoffes. Viele (irgendwie) Rechte beschäftigen sich meiner Erfahrung gemäß leider viel zu wenig mit deutscher Kulturgeschichte, die älter als die Neuzeit (und insbesondere als vor 1900) ist.
Hervorragend! Freue mich auf weitere Teile über das Nibelungenlied und gerne auch andere Werke aus dem germanischen, skandinavischen Raum ⚔️
Wunderbar, danke dir🇩🇪❤🌷
Wirklich interessantes Video, schade, dass es nur so kurz ist.
Die Seminare zu mittelhochdeutscher Literatur waren meine Lieblingsveranstaltungen im Studium! Natürlich haben wir das Nibelungenlied zur Gänze durchgekaut; dennoch ein spannender Vortrag von Wbr. Paul, den ich mir gern angehört habe.
Sehr geil.
Danke👍
2022 wurde ein bisher unbekanntes Lied aus der Nibelungensage entdeckt, "Das Lied von Siegfrieds Hochzeit".
Für den Algorithmus.
🇩🇪
"Hochdeutsch" bezieht sich nicht auf den sozialen Status, sondern auf die regionale Verbreitung. Andernfalls müsste das einfache Volk selbst in der Südschweiz oder in Südtirol Niederdeutsch gesprochen haben.
Der Niebelungenstoff ist keine Weiterentwicklung nordischer Erzählungen (die aufgrund der damals noch vorhandenen Ähnlichkeit der germanischen Sprachen überhaupt erst von Süd nach Nord wandern konnte), sondern eine höfische Adaption antiker germanischer Erzählstoffe aus der Völkerwanderungszeit (und eventuell davor). Zu Zeiten der Niederschrift des Niebelungenstoffes in den verschiedenen Handschriften (gemeinhin bezieht sich die Wissenschaft auf die Handschrift C) war die höfische Literatur nicht in ihrer Genese, sondern in ihrer absoluten Blüte. Wir reden hier von einer Zeit, in welcher Hartmanns von Aues "Der arme Heinrich", Gottfrieds von Straßburgs "Tristan und Isolde" und eben bald der besagte Parzival erschienen sind. Und das Nibelungenlied, das wahrscheinlich ebenfalls am Beginn des 13. Jahrhunderts geschrieben wurde, bildet eben keine Scharnierfunktion zwischen höfischer- und Heldenliteratur. Ansonsten möge man mir die ganzen schönen germanisch-deutschen Heldenlieder abseits von Nibelungen- und Dietrichstoff zeigen.
Es gab niemals ein gemeinsames germanisches Verständnis. Gotisch wird in der Altgermanistik gerne als Vergleichssprache zum Althochdeutschen genutzt, weil beide Sprachen eine sehr konservative Grammatik haben (Rudimente des 5. Falls im ältesten Althochdeutschen und Gotischen, Rudimente von Wurzelreduplikationen, etc.). Ergo konnten Stoffe hier leicht wandern. Das sieht man eben auch beim genannten Hildebrandslied, das nicht das älteste Sprachzeugnis, sondern das älteste Heldenliedfragment in deutscher Sprache ist. Es gibt Glossen, die deutlich älter sind.
Die Edda hat auf keinen Fall das Nibelungenlied inspiriert. Diese Aussage ist absolut hanebüchen!
Das Motiv des Drachenkampfes und sein Auftauchen in verschiedenen volkssprachlichen Erzählungen ist in seiner Provinienz absolut dunkel. Es gibt ja eben gerade bei der Diskussion (Mindermeinung) um Siegfried die These, dass hiermit vielleicht die metaphorischen drei Legionen des Varus gemeint sein können.
Im anderen Video wird behauptet, dass die Nibelungen identisch mit den Burgundern seien. Das stimmt nicht! "Nibelungen" lässt sich etymologisch als "Kinder des Nebels/Dunkels" herleiten und bezieht sich auf ein germanisches Sagengeschlecht (siehe Edda --> Tötung von Otr durch Wodan und Loki, Verfluchung des Schatzes; hab jetzt die genaue Stelle nicht im Kopf). Wenn überhaupt, dann sind Alberich und Fafnir Nibelungen.
Kriemhild ist nicht ihre Tochter (Nibelungenlied woke mit polyamouröser LGBTQIA+-Familie?), sondern Schwester. Die Mutter ist frou uote, also Edelfrau/Königin Ute.
Burgunder waren keine Franken.
Woher weiß der Herr eigentlich immer, dass dem Publikum der germanische Sagenschatz so vollumfänglich bekannt war? Woher weiß er, dass der Verfasser ein Geistlicher war? Wieso nicht der Kürenberger? Wieso nicht mehrere Autoren?
"Lied" bezieht sich nicht zwingend auf Gesang, sondern auf Strophendichtung. Spontan fällt mir hier die neue Adaption dieses Stils durch Tolkien ein (Lay of Leithian - Heldenlied von Leithian), in welchem er das Heldenlied von Beren und Luthien erzählt.
Tipp noch zur (vermutlichen) Aussprache: Umlaute hatten ihre Betonung im Mittelhochdeutschen noch auf dem zweiten Vokal, nicht dem ersten (wie im aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangen Jiddisch), also "gesäit" statt "gesait"; "arebäit" statt "arbait".
Danke dennoch für die Thematisierung dieses wichtigen Stoffes. Viele (irgendwie) Rechte beschäftigen sich meiner Erfahrung gemäß leider viel zu wenig mit deutscher Kulturgeschichte, die älter als die Neuzeit (und insbesondere als vor 1900) ist.